Profolk

2016 erschien:
„Auf´s Maul Geschaut“ - Regionalsprachen und Dialekte im Deutschen Folk 

mit: Hüsch - SpuimaNovas - Kalüün - Holger Saarmann & Vivien Zeller - Herzgespann - Martin Schütt -Ziganimo - Em Huisken - Why Didn´t They Ask Evans - Kay Kankowski - Stefan Straubinger - Spillwark

Folkmusik in Deutschland bedeutet heute eine enorme Vielfalt an Kulturen und aufgegriffenen musikalischen Traditionen. Unsere Welt ist durch das Internet und große Möglichkeiten internationalen Austausches erfahrbarer geworden – auch für Musiker, die sich traditioneller Musik zuwenden. Der Profolk e.V. versucht, den verschiedenen Interessen von Musikern, Veranstaltern und Hörern nachzukommen und über Tendenzen der Szene zu informieren. 2014 erschien der Sampler: „Walzer, Schottisch, Poloness – Folkmusik aus alten Handschriften“, der den neuen innovativen Umgang mit Tanzmusikhandschriften des 18. und 19. Jahrhunderts dokumentierte. Es wird hier erkennbar, dass die deutsche Szene musikalisch auf dem Weg in neue Qualitäten ist, dass ein Verständnis im Zusammenspiel von Ausdruck, Tanzbarkeit, Groove und Ideenreichtum existieren.

Der neue Sampler: „Auf´s Maul geschaut – Regionalsprachen und Dialekte im deutschen Folk“ – stellt das Lied in den Mittelpunkt des Hörbaren. Anders als die traditionellen Tanzmusiken war das Lied das eigentliche Medium des Folk in Deutschland seit den 1970er Jahren. Mit dem Lied kann man Geschichten erzählen, politische Meinungen ausdrücken, zum Handeln aufrufen, Gemeinschaft zelebrieren. Genau das will Folkmusik.

Der heutige Folkmusiker kann auf eine Unmenge Material zurückblicken, das in Volksliedsammlungen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts herausgegeben wurde. Das Volkslied ging Hand in Hand mit der bürgerlichen Emanzipation und nationalen Selbstfindung der Deutschen. Die Romantik führte das einfache Lied in die Salons und Autoren schrieben neue Lieder im „alten“ Stil. Volkslieder dienten der Gesangsbildung in Schulklassen und wurden Bestandteil deutscher Lehrbücher. Sie wurden vereinheitlicht – sowohl in Sprache als auch in der Musik. Volkslieder wurden dann auch Bestandteile des kulturellen Ausdrucks des deutschen Kaiserreichs und der Nazidiktatur. So verbindet man ihnen häufig das abgelegte Übel der Vergangenheit und das Biedere schlechthin. Dabei existierten unabhängig von Schulbüchern, nationalen Ideen und Fantasien bürgerlicher Sehnsüchte andere Lieder – die es nie zum Schulstoff gebracht haben und die nur selten zum „Volkslied“ geadelt wurden. Diese aufsässigen, „schmutzigen“, einfachen, naiven, schmucklosen Lieder erneuern sich im Alltag des Singens immer wieder, haben unterschiedlichste Versionen und Begleitformen. Viele dieser Lieder wurden und werden in den Mundarten und Sprachen gesungen, die man in der Gesangsrunde oder auf dem Markt sprach und spricht. Sie sind Ausdruck regionaler Tradition.

Als sich Folkmusik in den 1970er Jahre als Genre formierte, fanden Mundarten und Regionalsprachen recht schnell Einzug in das Repertoire der Gruppen und Solisten. Liederjan, Moin oder Hannes Wader sangen Plattdeutsch und vermittelten damit, dass diese Regionalsprache dazu geeignet war, das Lebensgefühl der „Folkies“ zu transportieren. Seitdem bilden Mundarten und Regionalsprachen feste Bestandteile des Folks – man singt Bayerisch, Thüringisch, Schwäbisch oder Kölsch. Auch historische Sprachen finden ihren Niederschlag – Hölzerlips veröffentlicht 1978 die Platte „Jenischer Schall“, Ougenweide entdeckt mittelalterliches Deutsch und Zupfgeigenhansel singt Jiddisch.

Auch in der Gegenwart sind Mundarten und Regionalsprachen fester Bestandteil des Repertoires von Künstlern im Bereich der Folkmusik in der ganzen Republik. Der Profolk-Sampler bietet die Gelegenheit einer Reise durch das Land und durch die Zeiten. Man hört Alemannisch, Niederdeutsch, Mittelniederdeutsch oder Moselfränkisch – Sprachen, die für die meisten schwer zu verstehen sind, die jedoch ganz persönlichen Ausdruck vermitteln – die Künstler singen in „ihrer“ Sprache, mit der Mentalität „ihrer“ Region zu Dingen „Ihres“ Lebens.

Text: Ralf Gehler (2. Vorsitzender)

 

Siehe auch:  http://www.folkworld.de/61/d/maul.html

 

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2014 erschien:
„Walzer-Schottisch-Poloness. Folkmusik aus alten Handschriften“



 

 

 

 

 

 

 

 

 



Die Nutzung historischer Handschriften als Quelle für die Folkmusik in Deutschland ist eine neue, begrüßenswerte Tendenz in der Szene. Immer mehr Bands und Projekte schauen in die Musikhandschriften der Vergangenheit, um neue Musiken zu kreieren, die als Tanz- oder Vortragsmusik zu hören ist. Der PROFOLK e.V. veröffentlicht zu seinem 30. Jubiläum einen Sampler mit Kapellen und Solisten, die sich musikalisch mit dem Thema beschäftigen. Die Bearbeitungen des historischen Materials sind völlig unterschiedlich und lassen erkennen, wie sehr das Genre der Folkmusik innovativ wirken kann. Es handelt sich bei den Quellen um Tanzbücher des 17. – 19. Jahrhunderts, einige bislang versteckt in Bibliotheken und Archiven, andere bereits ediert, die für musikalische Überraschungen sorgen. Die größte Überraschung ist dabei jene, dass diese Melodien durchaus mit denen unserer europäischen Nachbarn mithalten können, um eine moderne Folkmusik in Deutschland zu schaffen. Zu den bedeutendsten Schriften gehören der „Dahlhoff“ aus Westfalen, das „Arendseener Notenbuch“ aus Mecklenburg oder die Seibiser Handschrift des Heinrich Nicol Philipp, die alle auch hier auf dieser CD vertreten sind.

Notenhandschriften und Volksmusik

Handschriftliche Notenbücher mit ländlicher oder bürgerlicher Tanzmusik gehören zu den Rara musikalischer Überlieferung in Deutschland, auch wenn in den letzen Jahren immer wieder neue Quellen aufgetan wurden. Die Handschriften wurden vor allem seit dem 18. Jahrhundert und häufiger im 19. Jahrhundert angelegt. Meist erfolgte die Überlieferung der Tanzmusik mündlich. Die Handschriften stellen Bindeglieder zwischen alltäglicher Spielpraxis und musikalischer Bildung dar. Die Hefte wurden zum Teil über Generationen weitergegeben, so dass das oft angegebene Datum des Beginns der Eintragungen lediglich die Zeit der frühesten Eintragungen reflektiert. Überhaupt ist die genaue Datierung einiger Handschriften, (z. B. der Handschrift aus Arendsee/Mecklenburg) recht schwierig. Das Repertoire der Handschriften bewegt sich zwischen sehr einfachen Melodien, wie man sie sich auf einer ländlichen Tanzdiele, vielleicht gespielt auf Dudelsack oder Drehleier vorstellen kann, und recht komplexen Barockmelodien, die „gehobenes“ Milieu reflektieren. Die Wechselwirkungen des Repertoires zwischen Salons und Tanzdielen vollzogen sich schnell und hemmungslos. Ernst Moritz Arndt schreibt 1826:

So sah man sonst bei teutschen Bauerngelagen den Mühlentanz, den Webertanz, den Schustertanz usw.; jetzt springt der Bauer schon in Tänzen herum, die er schottische und englische nennt. (Nebenstunden. Leipzig 1826, S. 468)

Die Lebensdauer populärer Melodien war enorm. Ein „Hit“ konnte mehrere Jahrzehnte existieren und als Tanzmelodie Verwendung finden. Ein weiteres Beispiel ist der „Schottschen-Triller“, ebenfalls aus der Arendseener Handschrift. Unter dem Titel „The Rakes of London“ in England bekannt, kam die Melodie in der Mitte des 18. Jahrhunderts nach Dänemark, wo sie in einer Geigenhandschrift 1764 auftaucht.( Handschrift Mads Nielsen`s tunebook, Funen 1764). In einer walisischen handschriftlichen Notation von 1752 findet sich die Melodie als „Rakes of Mellow“.(Handschrift Alawon John Thomas)

Überraschend ist die Überregionalität der Tanzmusikmelodien bereits im 18. Jahrhundert. Die Möglichkeit der Weitergabe von Melodien über gedruckte Noten dürfte hieran entscheidenden Anteil gehabt haben. Eine weitere Ursache werden die Berufe des Kunstpfeifers/Stadtmusikanten und des Tanzmeisters gewesen sein, die neuesten Modetänze zu verbreiten. Das Wirken dieser Berufe „zwischen den Kulturen“ führte zur Popularisierung hier dargestellter Melodien und der damit verbundenen Tänze.

Von der alten Quelle zur neuen Musik

Zwei Stücke, von Stefan Straubinger und SpuimaNovas  gehen nicht direkt auf die Handschriften zurück, sondern weisen auf die Möglichkeit hin, ältere musikwissenschaftliche Literatur zu nutzen. Denn wir sind heute nicht die ersten Betrachter dieses Materials. Auch bereits im 19. und 20. Jahrhundert  Entdecktes liegt wieder im Verborgenen und wartet auf Erweckung. Der Zugang der vertretenen Kapellen und Solisten zu den Quellen ist so unterschiedlich wie ihre Musik. Die Musiker machen eine Musik im Jetzt und Heute – sie haben Beziehungen zum Jazz, zur Rockmusik oder zur Klassik.  Die auf dieser CD erklingenden Stücke lassen erkennen, dass die alten Notenhefte der Tanzmusiker der Vergangenheit uns noch heute etwas zu sagen haben. Dahlhoff-die Band setzte sich mit der Dahlhoff-Handschrift aus Westfalen auseinander und kreierte eine kraftvolle Tanzmusik, ein wenig erahnen lässt, wie diese Musik im 18. Jahrhundert geklungen haben mag. Merit Zloch und die Kapellen T.K.P., figelin und  bilwesz stehen für einen Umgang mit den Quellen, der versucht die Melodien zu verstehen und ihnen in einer neuen Form von Tanzmusik Leben einzuhauchen. Zirp, Kwart und Malbrook bearbeiteten die alten Musik im Sinne einer moderen Folk-Instrumentalmusik. Mit dem Dudelsack im Mittelpunkt spielt die Volkstanzmusik Frommern und gibt dem Bordun viel Raum. Überhaupt sind Bordunmusikinstrumente wie Dudelsack, Maultrommel und Drehleier Bestandteil vieler hier präsentierter Musiken. Einige virtuose Musikanten, wie der Dudelsackspieler Matthias Branschke oder die Geigerin Vivien Zeller musizieren in mehreren Besetzungen und bringen ihren unverwechselbaren Stil ein.

Eine Bilanz und die Zukunft

Der PROFOLK-Sampler „Walzer-Schottisch-Poloness. Folkmusik aus alten Handschriften“

soll eine erste Bilanz der Entwicklung darstellen – Aufnahmen von in den letzten Jahren erschienenen CDs oder bisher unveröffentlichte Mitschnitte. PROFOLK hofft, im Jahre 2014, und somit im dreißigsten Jahr seines Bestehens, eine aktuelle Tendenz in der Folkmusikszene unseres Landes zu fördern und Anschub für neue Ideen, Projekte, Bandgründungen – und Musik(!) geben.

Einer der Hauptinitialoren des Geschehens, der Wiener und Drehleierspieler Simon Wascher, schreibt in seinem Text zur CD:  „Für die Einbeziehung "historischer Quellen", im Sinne von Quellen, die zweihundert Jahre oder älter sind, gibt es besondere Gründe. Diese Quellen entstammen einem Umfeld, in dem das Musizieren zum Tanz durch einen einzelnen Musizierenden, das gemeinsame einstimmige Musizieren und das Musizieren mit Bordun üblich waren.

Das Auswendiglernen und -musizieren – die Weitergabe an die Ohren, nicht an die Augen, an die Erinnerung und nicht an den Verstand – sind Grundlage für diese Musik und werden von ihr begünstigt. Diese Melodien sind darauf ausgelegt, mit kleinen Möglichkeiten gute Musik zu machen, ja sie verlangen geradezu ein gutes Musizieren. Die Musizierenden machen damit die Musik, nicht ein Komponist oder Arrangeur. Dieses „Musik-Machen“ ist auch eine Hürde, ein einfaches Abspielen einer Partitur gibt es nicht. Die Musizierenden lernen eigenverantwortlich zu musizieren, die Tanzenden lernen eigenverantwortlich zu tanzen.“

Machen wir also gute Musik – und immer mehr davon!

Ralf Gehler

 

Beide CDs sind erhältlich im CPL-Music Shop:

Auf´s Maul geschaut: https://cpl-musicshop.de/europa/deutschland/folk-worldmusic/241/va-auf-s-maul-geschaut-cd 

Walzer-Schottisch-Poloness: https://cpl-musicshop.de/europa/deutschland/folk-worldmusic/242/va-profolk-walzer-schottisch-poloness-cd?number=SW24